MEIN BURNOUT UND ICH:DIE GESCHICHTE EINES MANNES
Unsere Kultur der Überarbeitung führt immer häufiger zu psychischen Erkrankungen. Hier erzählt ein Senkrechtstarter seine Geschichte
Burnout ist eine Epidemie des 21. Jahrhunderts. Eine britische Arbeitskräfteerhebung aus dem Jahr 2018 ergab, dass 15,4 Millionen Tage aufgrund von arbeitsbedingtem Stress, Angst oder Depressionen verloren gehen. Das ist nicht nur schlecht für die Wirtschaft, sondern vor allem schlecht für unsere kollektive Gesundheit. Das Problem liegt in unserer intensiven Arbeitskultur, in der wir die Anzeichen von drohender Erschöpfung und Burnout manchmal aus den Augen verlieren.
Der 32-jährige Michael Stephens kennt sich damit aus, denn bis zu seinem eigenen Burnout leitete er das Kreativmarketing bei Virgin Atlantic. Damals arbeitete er regelmäßig bis zur völligen körperlichen und geistigen Erschöpfung – bis er schließlich eine lähmende Schlaflosigkeit entwickelte, die er versuchte, mittels Selbstmedikation in den Griff zu bekommen. Nachdem er sich mit den zugrunde liegenden Ursachen auseinandergesetzt hatte, rief er Create Space ins Leben, um die Selbstfürsorge und das Wohlbefinden der Menschen in der Kreativbranche zu fördern.
Erzählen Sie mir ein wenig von Ihren Erfahrungen.
Ich war auf dem Höhepunkt meiner Karriere und hatte den Traumjob, den ich immer gewollt hatte. Ich hatte 10 Jahre lang unermüdlich gearbeitet und versucht, so schnell wie möglich die Karriereleiter hinaufzuklettern. Schließlich bekam ich eine Stelle bei Virgin Atlantic, die wahrscheinlich besser zu jemand Älterem gepasst hätte. Der Burnout kam für mich völlig überraschend. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich überarbeiten würde, denn ich dachte, dass es unmöglich sei, die Arbeit zu übertreiben, wenn man einen Job ausübt, den man leidenschaftlich liebt. Ich würde es als völlige Erschöpfung bezeichnen.
Was war Ihrer Meinung nach die Ursache?
Das ist schwer zu sagen. Vielleicht lag es an diesem Unternehmen, vielleicht aber auch an meiner Entscheidung, so viele Stunden zu arbeiten, wie ich es tat. Man bringt sich ja selbst dazu, hart zu arbeiten, denn alle sollen sehen, dass man „die richtigen Dinge tut“. Ich hatte viele große Projekte. Die Umstrukturierung der Teams laugte mich emotional aus. Ich hatte einen langen Arbeitsweg und viel Verwaltungsaufwand. Hinzu kam, dass ich mich gerade getrennt hatte – das alles war schließlich zu viel.
Wie hat es sich gezeigt?
Zunächst nur auf subtile Weise. Ich litt unter Schlaflosigkeit, und ich nahm selbst Medikamente dagegen, durch die ich wieder schlafen konnte – bis mir klar wurde, dass ich ohne die Pillen überhaupt kein Auge mehr zugetan hätte. Dann kamen andere Symptome hinzu und traten verstärkt auf – zum Beispiel Reizdarm und Ekzeme. Allmählich begann auch mein Nacken zu schmerzen. Eines Tages bin ich aufgewacht und konnte ihn gar nicht mehr bewegen. Da bin ich zu meiner Hausärztin gegangen. Und die sagte mir sofort, dass ich mir eine Auszeit nehmen müsse. Ich sagte zu ihr:„Okay. Aber ich muss heute nochmal rein, denn es müssen vier Leute entlassen werden.“ Da sagte sie:„Nein. Ihre Auszeit beginnt jetzt sofort.“ Ich glaube, an dem Punkt habe ich meinen Chef angerufen. Ich habe am Telefon geweint, denn plötzlich wurde mir meine Situation so richtig bewusst. Ich nahm mir ein paar Wochen frei, aber durch das mit Burnout verbundene Stigma hatte ich nicht das Gefühl, meine Erfahrungen mit anderen teilen zu können. Ich nahm also nicht wirklich drei Wochen Urlaub; ich beantwortete immer noch E-Mails und nahm Anrufe entgegen, nur von zu Hause aus. Mir wurde klar, dass ich die Dinge drastisch ändern musste, wenn ich wieder zu arbeiten begann. Oder dass ich weggehen und mir eine richtig lange Auszeit nehmen musste. Ich entschied mich für Letzteres. Und zum ersten Mal überhaupt konzentrierte ich mich dabei nicht auf meine beruflichen Ambitionen, sondern auf mein geistiges und körperliches Wohlergehen.
Was haben Sie daraus gelernt?
Damals habe ich verstanden, wie wichtig es ist, für sich selbst zu sorgen. Meine Gesundheit war für mich immer etwas Selbstverständliches. Aber eigentlich muss man langfristig in sie investieren. Deshalb habe ich letztendlich Create Space ins Leben gerufen. Nachdem das alles passiert war, begann ich, mich zu öffnen und Freunden davon zu erzählen – und manche sagten mir, dass sie ähnliche Dinge durchgemacht hatten. Ich wurde eingeladen, auf einer Veranstaltung zum Thema „Psychische Gesundheit“ zu sprechen. Und die Leute empfanden meine Erfahrung als nützlich, auch wenn ich kein Experte bin. Ich habe zum Beispiel etwas online gepostet und darauf hin jede Menge Nachrichten erhalten, in denen es hieß:„Unglaublich, mir geht es ganz genau so.“ Dadurch wurde mir bewusst, dass ich nicht der Einzige bin.
Erzählen Sie mir mehr über Create Space.
Ich wollte einen zugänglichen Ort schaffen. Die Bezeichnung „Retreat“ ist ja immer mit bestimmten Vorstellungen verbunden. Ich wollte mich jedoch stärker auf die Selbstfürsorge konzentrieren, ihr zu mehr Verbreitung verhelfen und sie zugänglicher machen; die Menschen sollten erkennen, wie wichtig es ist, für sich selbst zu sorgen. Mein Bruder Angus führt seit 20 Jahren Retreats durch. Er ist Profikoch und zog nach Costa Rica, wo er in einem Retreat-Zentrum arbeitete. Dieses musste jedoch schließen, sodass er schließlich viele der dortigen Kunden übernahm, um Yoga-Retreats zu organisieren. Wir wussten jedoch, dass der Yogamarkt bereits mehr als gesättigt ist. Und wir wollten wohl auch etwas Sinnvolleres tun. Das Coronavirus hat dazu geführt, dass viele unserer Programme jetzt virtuell durchgeführt werden, was eine Herausforderung darstellt. Trotzdem haben bereits etwa 200 Personen an unseren virtuellen Programmen teilgenommen.
Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der sein mentales Wohlergehen verbessern möchte?
Kontinuierliche Selbstfürsorge ist wahrscheinlich die effizienteste und kostengünstigste Art, für die eigene psychische Gesundheit zu sorgen. Schaffen Sie konsequent Raum, um innezuhalten, zuzuhören und darüber nachzudenken, was Sie wirklich brauchen. Ich mache das am liebsten, indem ich mich ohne Telefon auf einen ausgedehnten Spaziergang in die Natur begebe.