Orlebar Brown Sommer 2023 – Interview mit Filmemacherin und Fotografin Marie Schuller

Hallo Marie und herzlich willkommen. „Flights of Fantasy“ ist der Name der Sommerkollektion 2023 von Orlebar Brown. Es geht bei dieser Kollektion um fantasievolle und unerwartete Ideen, um einen Ort der Vorstellungskraft und der Träume. Die Stimmung ist sorgenfrei, romantisch und bahnbrechend. Die Kollektion soll Menschen inspirieren, von Neuem zu überdenken, wohin sie gehen und wer sie sind, und Entscheidungen mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf zu treffen.
Marie, kannst du uns bitte die Inspiration für die Filmreihe „Flights of Fantasy“ erklären und uns verraten, wie die ersten Ideen entstanden, die den Charakter der Kollektion einfangen?
Was mir im Hinblick auf OB als Marke besonders auffällt, ist die Tatsache, dass sie Geschichten erzählt. Ich finde das einzigartig und inspirierend zugleich. Bei den Kreationen geht es nicht nur um die Kleidungsstücke, sondern um die Geschichte, die dahinter steckt – das verleiht ihnen eine transformative und eskapistische Qualität. OB schreibt Geschichten, die sich durch jede Kollektion ziehen, und spricht mit Selbstbewusstsein über die Stücke. Als Marke weiß OB instinktiv, welche Persönlichkeiten ihre Produkte tragen würden, welche Prints in welche Umgebung passen und welche Designs für welche Emotionen stehen.
Für mich als Filmemacherin ist das enorm hilfreich, da es klare Voraussetzungen schafft und es mir ermöglicht, ein Skript zu kreieren, das dem Charakter der Marke entspricht. Es ist viel effizienter, ein Projekt mit einem ehrlichen Gespräch darüber zu beginnen, was die Kleidungsstücke verkörpern. Der übliche traditionellere kommerzielle Ansatz umfasst häufig restriktive Konzepte, die bereits bestehen, bevor meine Arbeit beginnt. Dazu gehören auch Skripts, die meinen Stil und meine Stärken außer Acht lassen. In dieser Hinsicht ist OB einzigartig. Vertrauen und Offenheit waren entscheidend bei unserer Zusammenarbeit. Wir konnten uns inspirieren lassen, uns ausgefallene Ideen ausdenken, Grenzen verschieben und manchmal vielleicht sogar zu weit gehen, bevor wir dann wieder einen Schritt zurück machten. Auf diese Weise entstand ein Narrativ, das das Wesen der Kollektion zum Ausdruck bringt.
Anfangs haben wir verschiedenste Ideen betrachtet, einschließlich gestrandeter Meerjungfrauen und Detektiven aus den 80er-Jahren! Wir haben die Elemente von OBs eskapistischen Qualitäten von allen Seiten beleuchtet, bevor wir uns auf puristischere Themen einigten: das Gefühl von Freiheit und die Erfülltheit, die durch Beziehungen mit anderen Menschen und der Natur entsteht. Der Film enthält dramatische Szenen und große visuelle Höhepunkte, doch wenn wir uns auf den Kern konzentrieren, wird deutlich, dass es letztendlich ganz einfach um menschliche Emotionen geht, mit denen wir uns identifizieren können. Es geht darum, der Realität zu entkommen, und um Simplizität. Es geht um die Dinge, die für OB wichtig sind – die Sonne, der Strand, Wasser, Reinheit –, aber auch die Dinge, die mich als Filmemacherin ansprechen wie Nostalgie und Kitsch.
Kannst du uns den Prozess beschreiben, der bei der Auswahl der Models und Schauspieler, der Filmcrew und anderer Beitragender für die „Flights of Fantasy“-Reihe und anschließend bei der Zusammenarbeit zum Einsatz kam? Und wie haben deren einzigartige Talente zu diesem Projekt beigetragen?
Wir alle wissen, dass ein Film in einem enorm kollaborativen Prozess entsteht. Es ist faszinierend, wie sehr ein 15-stündiger Drehtag Menschen zusammenschweißen kann. An einem einzigen Tag können die besten und schlechtesten Seiten zum Vorschein kommen. Schließlich befindet man sich mit einer Menge Fremder auf engstem Raum in einer extrem stressigen und zeitkritischen Situation. Dabei sollen alle aber im Einklang arbeiten, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Man könnte denken, dass die Katastrophe dabei vorprogrammiert ist. Tatsächlich aber funktioniert es oft und dann ist es großartig.
Ich liebe es, mit Leuten zu arbeiten, die ich kenne und denen ich vertraue. Viele Mitglieder des Teams sind daher schon seit unserem ersten Projekt für OB mit dabei: Die Produzentin Nancy Ryan, der leitende Kameramann Carlos Feher und natürlich der OB-Stylist Matt Luckcock, der übrigens der geduldigste und am besten organisierte Mensch am Set ist! Dieses Mal sind wir aber nach Kapstadt geflogen und so waren zahlreiche Mitglieder der Crew Einheimische, mit denen ich noch nicht zusammengearbeitet hatte. Mit unserem künstlerischen Direktor James Mader ist uns ein wahrer Glücksgriff gelungen. Er hat nicht nur einen großartigen Geschmack, sondern auch die Mittel, um Dinge möglich zu machen. Er hat die riesigen Flügel entworfen, die im zweiten Film des Projekts zu sehen sind. Außerdem hat er die Stimmung und das Feeling unserer Geschichte und der Ästhetik von OB instinktiv verstanden, sodass sein Beitrag die Filme auf das höchste Niveau gehoben hat.
Das Casting ist ein entscheidender Faktor, und wenn es um die Protagonisten unserer Filme geht, verfalle ich immer in mehrere Phasen der Panik, bevor ich jede getroffene Entscheidung unnötiger Weise anzweifle. Ein wichtiger Aspekt beim Casting ist die Tatsache, dass Fotografie und Film zwei völlig unterschiedliche Konzepte sind. Manche Models sind großartig im Film, lassen auf Fotos aber Lebendigkeit vermissen, oder umgekehrt. Für OB machen wir beides und so ist es am besten, die zwei Genres im Hinblick auf das Casting separat zu betrachten.
Die meisten Darstellerinnen und Darsteller waren Models und keine Schauspieler. Ihr Einsatz und ihre Bereitschaft, an ihre Grenzen zu gehen, waren beeindruckend. Das Publikum sieht lediglich einen 2 Minuten langen, perfekt ausgereiften Film. Dieser ist aber das Ergebnis von zwei langen Tagen mit vorgetäuschtem Ertrinken im Pool, mit drei Meter hohen Wellen im Gesicht für 20 Aufnahmen nacheinander, mit improvisierten Streitszenen, mit einem Lächeln trotz 25 kg schwerer Holzflügel auf dem Rücken, mit Stürzen kopfüber in den Sand und mit Fußball am Strand während einer Hitzewelle. Und all das, während ich mit meinem schweren deutschen Akzent unsinnige Anweisungen schreie! Das war alles andere als einfach, aber alle Beteiligten waren bereit und motiviert und sind an ihre Grenzen gegangen, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Ich respektiere das wirklich sehr.
Haben die Kleidungsstücke zu den Geschichten gepasst oder die Geschichten zu den Kleidungsstücken?
Die Geschichten passen zu den Kleidungsstücken! Im Zentrum stehen die Kleidungsstücke, unsere Geschichten erwecken sie lediglich zum Leben. Am Anfang meiner Karriere habe ich für fünf Jahre im SHOWstudio von Nick Knight gearbeitet. Nick war voll und ganz überzeugt, dass es bei Modefilmen um die Kleidung gehen muss – nicht mehr und nicht weniger. Er glaubt nicht an „erzählerische“ Modefilme, weil die Kleidungsstücke seiner Meinung nach die eigentliche Geschichte sind.
Ich setze zwar erzählerische Elemente, Dialoge und andere cineastische Methoden ein, die Nick mit seiner puristischen Sicht auf Modefilme vermutlich ablehnen würde, doch im Grunde verstehe ich seine Einstellung. Wenn man einen Film über Mode dreht, müssen die Kleidungsstücke die Stars sein. Alles andere ist nur eine Vision, deren einzige Aufgabe es ist, die Geschichte der Kollektion ins Rampenlicht zu rücken.
Was war deine Vision im Hinblick auf die Ästhetik der Kollektion in den Filmen und wie konntest du sicherstellen, dass die ausgewählten Stücke dieser Vision entsprachen? Oder war es vielleicht umgekehrt?
Bei der Kombination von Film und Mode ist es immer am wichtigsten, dass die Charaktere, die wir kreieren, authentisch und glaubwürdig erscheinen, und dass die Kleidungsstücke, die sie tragen, ihre Persönlichkeit ausdrücken und natürlich erscheinen. Ich hasse es, wenn Darsteller zu sehr gestylt oder geschniegelt aussehen. Das fühlt sich inszeniert an und plötzlich zerfällt die vor der Kamera geschaffene Welt, wird als Vortäuschung entlarvt. Um die Illusion zu bewahren und das Gefühl zu kreieren, in eine andere Welt katapultiert zu werden, müssen alle Elemente in Harmonie funktionieren. Das Styling spielt in diesem Zusammenhang natürlich eine enorm wichtige Rolle. Meine Erfahrung als Filmemacherin liegt hauptsächlich im Bereich Mode und Beauty. Für mich ist das ein wunderbar seltsames und wunderschönes Subgenre. Es ist einfach, sich über die „Modeleute“ und ihre Obsession mit Dingen wie Frisuren und Make-up lustig zu machen. Immer wieder höre ich Witze, die darauf abzielen, dass es zwei Stunden dauert, Make-up aufzutragen, das dann nicht wie Make-up aussehen soll. Ich verstehe das sogar, aber manchmal sind diese Dinge wichtig. Die Details sind wichtig. Mode ist die älteste Form des Selbstausdrucks, und wenn man einen Film dreht, der eine Kollektion ins Zentrum stellt, dann ist es entscheidend, dass die Charaktere, die künstlerische Leitung und die Geschichte, die wir um die Kollektion herum aufbauen, perfekt mit eben dieser harmonieren.
Die pragmatischere Antwort lautet, dass es nicht einfach ist, in Worte zu fassen, wie genau das geschieht. Wir sind letztlich bildende Künstler und unsere Arbeit beruht auf unserem Geschmack, unseren Erfahrungen, unseren Einflüssen und unserem Vertrauen in die Menschen, mit denen wir arbeiten. Das muss nicht unbedingt „Sinn“ machen. Viele Entscheidungen werden instinktiv getroffen. Adam weiß beispielsweise genau, wenn ein Charakter für seine Kleidungsstücke „richtig“ ist. Meistens trifft er die endgültige Entscheidung, wenn es um bestimmte Looks für bestimmte Szenen geht.
Wenn wir den Kunden hier außer Acht lassen: Welcher Aspekt stellte die größte Herausforderung bei den „Flights of Fantasy“-Filmen dar und wie hast du diese überwunden?
Die größte Herausforderung bei Shootings im Allgemeinen ist es, die eigene Vision immer wieder verteidigen zu müssen, dafür zu kämpfen, während man sich gleichzeitig auf die eigene Fantasie verlassen muss. Das ist ein furchteinflößendes Gefühl. Gleichzeitig darf man die eigenen Zweifel aber niemals aussprechen, denn als Regisseurin muss man selbstbewusst voranschreiten und das Schiff in die richtige Richtung steuern. Wenn ich mir ein Konzept ausdenke, finde ich manchmal Inspiration bei anderen Künstlern und Werken, meistens sind es aber einfach Bilder in meinem Kopf, die dann hoffentlich Sinn ergeben. Wenn die Maschine anläuft, die dann alles zusammenbringt, arbeitet man mit großartigen Leuten, die großartige Dinge kreieren. Ein ganzes Team investiert Zeit und gibt sein Bestes. Schauspieler sprechen einen Dialog, der in meinem Kopf mit den Bildern harmoniert, die bis zu diesem Zeitpunkt aber ebenfalls nur in meinem Kopf existierten. 100 Leute am Set arbeiten zusammen und tun alles, um mich zu unterstützen und meine verrückte Vision zu verwirklichen. Alle vertrauen auf mein Versprechen, dass am Ende alles perfekt zusammenkommt. Ich bin sehr dankbar, dass die Schauspieler mir glauben, wenn ich sage: „Mach dir keine Sorgen, ich weiß, dass das jetzt vielleicht seltsam aussieht und du dir wie ein Idiot vorkommen musst, wenn du so komisch auf die Kamera zulaufen und einen verrückten Spruch schreien sollst, während du eine wundersame Requisite schwenkst – aber vertrau mir, das wird am Ende großartig aussehen.“ Je mehr Leute mir ihr Vertrauen schenken und alles geben, umso mehr hoffe ich, dass das dann auch tatsächlich alles funktioniert. Der Punkt ist, dass es keine Garantien gibt. Je weiter wir uns in unerforschte Gefilde vorwagen, verrückte Dinge ausprobieren, exzentrische Geschichten erzählen und uns von der etablierten kommerziellen visuellen Sprache entfernen, umso beängstigender sind die Dreharbeiten. Schließlich ist es riskant, Dinge anders zu tun. Aber wenn man es nicht versucht, dann entsteht auch nichts Besonderes, nichts Einzigartiges. Doch der Weg zu diesem Ziel ist furchteinflößend. Die Tatsache, dass die gesamte Crew – und am wichtigsten OB – mir voll und ganz vertrauen, macht die Last der Verantwortung schwer zu tragen.
Ich erinnere mich an den Abend, als wir im Kinoraum einer exzentrischen Villa in Kapstadt drehten, der – aus keinem ersichtlichen Grund – im Stil einer singapurischen Karaokebar gehalten war. Der Raum war unglaublich, aber er war dunkel und sogar ein wenig zwielichtig, also genau das Gegenteil von dem, für das Orlebar Brown steht. Außerdem war die Miete unglaublich teuer. Weder OB noch die Produktionsleute wollten dort drehen und schlugen vor, die Szene wegzulassen. In meinem Kopf aber machte sie Sinn. In der fertigen Version sollte die Szene der Ankunft auf der Insel vorangehen. Die beengende, dunkle, hedonistische Umgebung dieses luxuriösen Kinos sollte einen krassen Gegensatz zur puristischen Insel bilden. Das war mein Plan. Es spricht wirklich für OB und meine Produzentin Nancy, dass sie mir erlaubten, die Szene zu drehen, ohne sich einzumischen oder mir Steine in den Weg zu legen. Es war die letzte Szene des Tages und die Crew war ziemlich fertig. Carlos hatte gerade einmal 30 Minuten Zeit, um diesen riesigen Raum richtig auszuleuchten, und zu allem Überfluss schaltete sich die Stromsparfunktion ein, sodass die vorhandene Raumbeleuchtung ausging. Ich musste sieben Schauspieler anweisen, hatte nur 20 Minuten bis Drehschluss und die Produktion lag mir in den Ohren. Ich war die Einzige, die an die Szene glaubte, und in solchen Momenten beginnt man, die eigene Vision anzuzweifeln. Ein Schuldgefühl macht sich breit, da du etwas durchgesetzt hast, das sich nun als kompliziert erweist und das keiner wirklich wollte.
Aber wir drehten die Szene und sie ist Teil des Films. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn sich die Dinge im Schnitt zusammenfügen und die vielen scheinbar zusammenhanglosen Aspekte der Filmemacherei zusammenkommen und plötzlich Sinn ergeben. Dieser Moment während der Drehaufnahmen war die größte Herausforderung und an keinem anderen Punkt des Projekts habe ich mich so unsicher gefühlt.
Welche Szene oder Sequenz der Filmreihe verkörpert das Wesen der „Flights of Fancy“-Kollektion deiner Meinung nach am eindringlichsten und warum?
Ich liebe die Szene, in der die Gruppe auf dem Strand der einsamen Insel Fußball mit einer Kokosnuss spielt. Sie bringt das Wesen der Kollektion auf den Punkt. Wir hatten nur wenig Zeit für die Aufnahmen, da wir an einem Strandabschnitt filmten, den die Flut schon bald abschneiden würde. Das Wasser kam unseren C-Ständern und Monitoren bereits gefährlich nahe, sodass wir für die gesamte Szene viel improvisieren mussten. Keine Requisiten, außer einer Kokosnuss, keine Beleuchtung, außer der Sonne, und keine Regieanweisungen, weder für die Schauspieler noch für den Kameramann am Schwebestativ. Als wir dann aber mit dem Filmen begannen, fügte sich alles ganz natürlich zusammen. Wir alle haben diese verrückte Situation an diesem wunderschönen Strand absolut genossen. Die Schauspieler haben die Kokosnuss herumgekickt, sich gegenseitig ins Wasser gezogen und sind vor Lachen fast zusammengebrochen – und all das, während die Runner verzweifelt versuchten, die Kameraausrüstung vor den Wellen zu retten. Keiner kümmerte sich um Make-up, Frisuren und all die anderen Dinge. Die Schauspieler hüpften einfach im Wasser herum, ihre Kleidung war voller Meerwasser und Sand – aber das war plötzlich gar nicht mehr wichtig. Alle hatten Spaß – authentisch und improvisiert – und es hat sich ganz natürlich und mühelos angefühlt und uns komischerweise zusammengeschweißt. Niemand folgte mehr dem Drehbuch, die Kleidung war nass, und doch war an diesem atemberaubend schönen Strand einfach alles perfekt. Die besten Momente ergeben sich vermutlich ganz natürlich, und dieses Gefühl, den Moment zu genießen – mit all den Facetten unerwarteter Schönheit –, verkörpert die Kollektion für mich.
Was sollen die Leute von den „Flights of Fantasy“-Filmen mitnehmen und wie möchtest du sie inspirieren?
Für uns war die transformative Qualität der OB-Filme zu jedem Zeitpunkt wichtig. Sie können dich von einem Pool im Stil von Slim Aarons nahtlos auf eine einsame Insel entführen. Unsere Handlungen sind bewusst romantisch, fast schon kitschig, und von eskapistischen Idealen inspiriert, nicht von der rauen Realität. Hoffentlich können wir Menschen für einen Moment dazu anregen, nach einem einsamen Strand zu suchen oder eine riesige Party zu feiern – entweder im übertragenen Sinn oder symbolisch.

Wie haben dein Hintergrund und deine bisherige Erfahrung in der Filmbranche deine Arbeit an der „Flights of Fancy“-Reihe beeinflusst?
Ich denke, man lernt Schritt für Schritt aus den eigenen Fehlern und den ästhetischen Sünden, die man am Anfang seiner Karriere begeht. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich am Anfang viele furchtbar schlechte Filme gemacht habe. Doch wenn man nicht manchmal scheitert, dann bedeutet das doch, dass man gar nicht versucht hat, Grenzen zu verschieben. Zumindest ist das meine Erklärung! Am Anfang war ich voll und ganz überzeugt, dass es sich in der Postproduktion schon richten lassen wird. Ich habe es dann mit der Nachbearbeitung übertrieben, Bilder manipuliert und eine abstrakte, surreale Bildsprache kreiert. Damals war ich eine viel bessere Cutterin als Regisseurin, was in meinen Filmen deutlich wurde. Meine Werke waren stark geschnitten und der Schnitt war die stilistische Antriebskraft. Ich habe fast jeden Trick in der FCP7-Effektbibliothek eingesetzt. Es war fast schon kriminell, wie viel der Spiegeleffekt – der aus Modefilmen in den 2010er-Jahren nicht wegzudenken war – in meinen Filmen verwendet wurde. Anstatt einen Dreh mit einem Sinn für Struktur und den erzählerischen Ablauf anzugehen, habe ich durch den Schnitt praktisch von hinten nach vorne gearbeitet. So habe ich die Tatsache vertuscht, dass ich einfach keine besonders gute Regisseurin war.
Es hat Jahre und fast 100 Filme gedauert, bis ich das konzeptuelle Verständnis im Hinblick darauf entwickelt hatte, was mir persönlich tatsächlich gefällt, an was ich glaube und wie ich das durch das Medium Film kommunizieren kann. In den Anfangstagen hatte ich eine Technik, die ich als „Zufallsschnitt“ bezeichnete. Ich habe einen Clip dabei einfach an einer zufälligen Stelle geschnitten. Die Elemente habe ich dann einfach so hin und her zusammengefügt, um dem Ganzen Dynamik und Energie einzuhauchen. Als ich mich später intensiver mit der Struktur und dem cineastischen Fluss meiner eigenen Filme auseinandergesetzt habe, musste ich meinen Ansatz zum Schnitt grundlegend überdenken. Meine neue Regel lautete, niemals zu schneiden, wenn kein Schnitt erforderlich ist. Ich fragte mich, was ein Schnitt für den Film tun würde. Muss ich hier schneiden, oder versuche ich die Tatsache zu verbergen, dass mein Material keine Energie hat und die Aufmerksamkeit des Publikums ohne einen abgehackten Schnitt nicht aufrechterhalten kann?
Dieser neue Ansatz führte anfangs zu einer ganzen Reihe von langweiligen Filmen, doch er zwang mich, besser zu werden und an meinem Sinn fürs Storytelling zu arbeiten. Ich ließ die umfangreichen Postproduktionsarbeiten hinter mir und meine Arbeit wurde ursprünglicher und intimer. Ich begann, erzählerische Elemente und Dialoge einzusetzen und die Bausteine zu verwenden, die Filme einzigartig machen und von der Fotografie unterscheiden. Ich habe jede Entscheidung, die ich als Regisseurin getroffen habe, hinterfragt. Ist diese Idee originell? Entsprechen meine Casting-Entscheidung der Welt, wie ich sie sehe? Macht das Sinn? Was möchte ich vermitteln? In welche Welt möchten wir das Publikum entführen?
Gab es bestimmte kulturelle oder historische Bezugspunkte, die Inspiration für die Wahl der Stücke der Kollektion und die Farben des Films lieferten?
Ich setze viel auf Bezüge, die Leute als „vintage“ beschreiben würden, besonders im Hinblick auf Styling, Haare, Make-up, Komposition und Beleuchtung. Ich liebe Nostalgie und Kitsch in meinen Arbeiten, also ein Retro-Styling in gewisser Weise. Ich liebe das theatralische Auftreten von Schauspielern in den 50er- und 60er-Jahren, den Sinn für Dramatik. Heute wird das als altmodisch gesehen, doch in dieser Naivität, die die Zeit nicht überdauert hat, verbirgt sich ein besonderer Reiz: die alten Grafiken, die superhip waren und heute altmodisch erscheinen; lange Zooms; die im besten Fall naive und im schlimmsten Fall gefährliche Darstellung von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit; der fast schon verrückt dramatische Soundtrack; der Einsatz von Stereotypen und stereotypischen Themen; glänzendes Haar ... All diese Dinge finden sich dauernd in meinen Arbeiten wieder. Das Geheimnis liegt darin, diese kulturellen Bezugspunkte umzudrehen, zu modernisieren. Nur dann entsteht eine einzigartige visuelle Sprache, die auch heute relevant ist und keine billige Kopie der Vergangenheit darstellt. Ich liebe das Kino der 60er und 70er, doch wenn ich versuchen würde, diese Elemente 1 zu 1 zu übertragen, würde ich scheitern. Ich kann nicht gegen Godard oder Hitchcock antreten, das kann niemand. Deren Zeit mag vorbei sein, doch für ihre Zeit waren sie perfekt. Die Leute meinen immer, es sei am einfachsten, Dinge zu kopieren. Doch wenn man zu nahe am Original bleibt, entsteht nur ein geschmackloses historisches Drama. Ich weiß das, da ich es versucht habe! Tatsächlich ist es einfacher, all diese Aspekte einzusetzen, um etwas Eigenes zu kreieren, weil Vergleiche mit den Besten der Besten dann nicht möglich sind und man ein Original kreiert.
Nur die Sonne war Zeuge und die moderne Interpretation Der talentierte Mr. Ripley sind seit der letzten Kollaboration mit OB ein Bezugspunkt. Als ich die „Flights of Fantasy“-Prints erstmals sah, wurde Slim Aarons ein weiterer Bezugspunkt. Das Gefühl von mühelosem Luxus, die unverfrorene Hingabe zu Sommer, Freizeit und Partys, die Lebendigkeit und Freiheit der Prints und ihrer Farben: Das alles verweist ganz klar auf Slim Aarons.
Wie hat die Wahl der Prints bzw. Materialien, wie Leinen, zur allgemeinen Stimmung und zum Stil der Filme beigetragen, insbesondere im Hinblick darauf, ein Gefühl von Sommer, Genuss und Freiheit heraufzubeschwören?
Wenn man den Modefilm als ein Genre betrachtet, bei dem die Kleidung im Mittelpunkt steht, und das Konzept dann davon ausgehend aufbaut, dann bedeutet das, dass die Kleidungsstücke und damit selbstverständlich deren Prints und Materialien den Kern fast aller kreativen Entscheidungen während der Dreharbeiten ausmachen. Das war auch bei diesem Projekt auf eine gewisse Weise der Fall. Am Anfang haben wir nur den Namen der Kollektion und Bilder der Kleidungsstücke. „Flights of Fantasy“ ist an sich bereits eine kleine kreative Inspiration, da sofort bestimme Bilder in deinem Kopf wachgerufen werden. Dann kommen die fantasievollen Prints, die Farbgebung, der Schnitt, die Texturen und die Passformen – alle diese Elemente beeinflussen Entscheidungen und so entsteht langsam ein bestimmtes Universum: Wer würde diesen Print tragen? Welche Art von Mann entscheidet sich für Leinen? Wie würde dieser Mann aussehen? Welche Frisur würde er haben? Wo würde er wohnen? Was würde ihn interessieren? Welche Ziele und Träume hätte er? Je mehr wir von der Kleidung ausgehend eine Persönlichkeit kreieren, umso mehr fügt sich die Story zusammen. Ehe man sich‘s versieht, hat man eine ausgereifte Persönlichkeit im Kopf, einen Mann, der in einer Villa am Meer wohnt und davon träumt, ein Fluggerät zu bauen. Auch wenn sich das absurd anhört: Man kann dieses Konstrukt direkt auf die Kollektion selbst und ihre Designdetails zurückführen.
Wenn du auf die „Flights of Fantasy“-Filme zurückblickst, gibt es ein bestimmtes Outfit oder Stück, das das Wesen der Filmreihe am besten verkörpert, und wenn ja, warum?
Das ist zweifelsfrei der originale „Flights of Fantasy“-Print, der auf Shirts, Bademode und sogar auf den aufblasbaren Wasserteilen zu finden ist. Das ist der auffallendste und charaktervollste Print der Kollektion. Er bringt das paradiesische und fantasievolle Flair der Filme auf den Punkt. Er war der Grund für die Wahl der exzentrischen Villa mit Pool, in der wir gedreht haben. Er hat die Ästhetik im Stil von Slim Aarons inspiriert.
Mein persönlicher Favorit ist allerdings der abstraktere Print in Blau-Weiß, den der Held des zweiten Films trägt, während er sich im Pool treiben lässt. Die Farben und Formen des Outfits harmonierten perfekt, sodass er fast mit dem Wasser verschmolz.
Zum Abschluss noch fünf kurze Fragen für dich, die im Idealfall mit nur einem Wort beantwortet werden sollen:
Pool oder Meer?
MEER!
Hotel oder Villa?
Kommt auf die Villa an, aber VILLA!
Heiß oder kalt?
HEISS natürlich!
Party oder Abendessen?
Ein paar Jahre PARTY habe ich noch in mir!
Adrenalin oder Meditation?
ADRENALIN, auch wenn ich Meditation vermutlich dringendst brauchen würde!
